Wenn Milchkühe mit Arzneimitteln behandelt werden, gilt eine gesetzlich vorgeschriebene Wartezeit. Während dieser Zeit darf die Milch nicht für den menschlichen Verzehr angeboten werden – es entsteht sogenannte Sperrmilch. Teils wird diese als Abfall entsorgt oder auch an Kälber verfüttert. Denn diese Milch liefert hochwertige Bestandteile, die als Futter genutzt werden können.
Aber aufgrund der enthaltenen antimikrobiellen Rückstände ist dies auch ein potenzieller Grund zur Besorgnis, denn diese Praxis kann zur Entwicklung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen beitragen. Zum Risiko der Entwicklung antibiotikaresistenter Bakterien bei Milchkälbern veröffentlichte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im Jänner 2017 eine wissenschaftliche Stellungnahme. Die EFSA-ExpertInnen schätzen, dass ungefähr 1% der in der Europäischen Union produzierten Milch als nicht verkaufsfähig („Sperrmilch“) einzustufen ist und vermutlich an Kälber verfüttert wird.
Negative Auswirkung von Sperrmilch-Fütterung stärker berücksichtigen
In einem aktuellen Review für die renommierte Fachzeitschrift „Pathogens“ analysierte ein ForscherInnenteam um Clair Firth vom Institut für Lebensmittelsicherheit, Lebensmitteltechnologie und Öffentliches Gesundheitswesen der Vetmeduni Vienna deshalb die relevante wissenschaftliche Literatur zur Verfütterung von Sperrmilch an Kälber. Insgesamt 19 – im Zeitraum von 2016 bis 2020 – in internationalen Fachzeitschriften publizierte Forschungsarbeiten sowie die EFSA-Stellungnahme bilden die Basis für diesen wissenschaftlichen Überblick. Die überwiegende Mehrheit der Studien untersuchte aus dem Kot von Milchkälbern isolierte E. coli-Bakterien, insbesondere den Einfluss der Milchfütterung auf die Häufigkeit des Vorkommens von Resistenzen bei diesen Darmkeimen. Einerseits zeigen manche Forschungsergebnisse für die Fütterung von Sperrmilch im Vergleich zu Milchpulver eine positive Auswirkung für die tägliche Gewichtszunahme und andere Vorteile für die Gesundheit von Kälbern.
Das große Aber: „Die Fütterung von Sperrmilch ist von negativen Auswirkungen begleitet. Insbesondere sind dies die Entstehung und Ausbreitung antibiotikaresistenter Bakterien, die Veränderung der Darmflora sowie die möglichen Folgen, die daraus für die globale öffentliche Gesundheit erwachsen könnten. Wir empfehlen deshalb, diese Faktoren bei der Fütterung von Kälbern mit Sperrmilch immer zu berücksichtigen“, so Firth. Laut den ExpertInnen wäre es wünschenswert, künftig Alternativstrategien für die Nutzung von Sperrmilch zu entwickeln, damit dieses hochwertige Futtermittel nicht entsorgt werden muss.
Komplexes Phänomen erfordert weitere Analysen
Im Detail brachten die von den WissenschafterInnen untersuchten Studien eine Vielzahl an unterschiedlichen Ergebnissen. Während die Fütterung von Milch, die antimikrobielle Rückstände enthält, die Ausscheidung antimikrobiell resistenter Bakterien bei Milchkälbern zu erhöhen scheint, ist ein solches Ausscheiden aber häufig nur von kurzer Dauer. Obwohl nach der Milchfütterung häufig über Veränderungen im Mikrobiom der Kälber berichtet wurde, kann aufgrund der vorliegenden Forschungsergebnisse derzeit nicht klar gesagt werden, wie sich dies auf die weitere Gesundheit der Kälber auswirkt. Zudem scheint die mögliche Übertragung von antimikrobiell resistenten Bakterien von solcher Milch auf Kälber zu dem äußerst komplexen Problem beizutragen.
Außer Frage steht, dass erkrankte Kühe unbedingt adäquat behandelt werden müssen. Die Entstehung von Sperrmilch ist dabei unvermeidbar.
„Um eine Vorgehensweise für den Umgang mit Sperrmilch empfehlen zu können, sind weitere Studien notwendig. So können wir ein umfassenderes Bild möglicher Zusammenhänge gewinnen und besser einschätzen, mit welchen Gefahren die Verfütterung von Sperrmilch an Kälber tatsächlich verbunden ist“, so Firth. Zudem soll erforscht werden, wie Sperrmilch „schonend“ behandelt werden kann, damit die wertvollen Inhaltsstoffe verwertet und gleichzeitig mögliche Risiken vermieden werden können.
Quelle: Veterinärmedizinische Universität Wien
Bildquelle: ML-Archiv
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