Gastbeitrag von Bauer Willi:
Wieviel Hunger ist akzeptabel?
Eine zugegebenermaßen recht anmaßende, ja sogar zynische Frage! Wir leben in Europa in einer Phase des Überflusses. Wer will das ernsthaft bestreiten. Unsere Supermärkte bieten ein noch nie dagewesenes Angebot. Wir werfen allein in Deutschland pro Kopf rund 82 kg Lebensmittel in den Müll.
- Angst
Und wir haben eine diffuse Angst. Angst, dass wir vom Verzehr der Lebens-Mittel krank werden. Dabei war die Lebenserwartung noch nie so hoch wie heute und sie steigt nachweislich weiter. Unsere Lebensmittel werden auf alle möglichen Rückstände untersucht, die Produzenten mit Formularen erschlagen. Die Verarbeiter müssen jedes Jahr mehr und neue Zertifikate vorlegen, und trotzdem: die Angst bleibt.
Unsere Angst ist ein Luxusproblem. In der Nachkriegszeit, als Lebensmittel knapp und oft nur auf Karte zu erhalten waren, sind viele Menschen aus der Stadt auf´s Land gefahren, um überhaupt an Lebens-Mittel zu kommen. Damals hat niemand nach den Inhaltsstoffen auf der Verpackung gefragt (so es denn überhaupt eine gab). Den meisten Menschen auf dieser Welt geht es wie uns in der Nachkriegszeit. Sie wären froh, wenn sie ausreichend Kalorien zur Verfügung hätten. Ob diese Ernährung dann immer „ausgewogen“ ist, ist ihnen erst einmal egal.
- Frei von
Wir in Europa, in der sogenannten zivilisierten Welt, stellen gewaltige Ansprüche. Unsere Nahrung soll lactosefrei, glutenfrei, cholesterinfrei und natürlich frei von Gentechnik sein. Am Preis der Produkte darf sich allerdings nichts ändern. Das trifft vor allem für uns Deutsche, dem Land der Schnäppchenjäger zu. In kaum einem anderen Land sind Lebensmittel so billig und sind so wenig wert wie bei uns. Und dieser Trend hält, der Marktanteil der Discounter steigt weiter. Obwohl die Verbraucher in Umfragen anders antworten. Und in kaum einem Land ist das Ansehen der Landwirte so niedrig. Auch dieser Trend setzt sich fort.
Ist es nicht an der Zeit, unsere Denkweise zu ändern? Uns von einigen, liebgewonnenen Vorurteilen zu verabschieden? Kennen Sie Norman E. Borlaug? Sicher nicht. Er, ein Farmerssohn aus Iowa war es, der durch ganz normale Züchtung die ersten Weizensorten entwickelte, die gegen gefährliche Getreidekrankheiten tolerant waren und kürze Halme für mehr Stabilität hatten. So hat er in der „Grünen Revolution“ hunderte Millionen von Menschen vor dem Hungertod bewahrt und dafür 1970 den Friedensnobelpreis erhalten. Er ist einer der stillen Helden dieser Erde.
Wieviel Hunger ist akzeptabel? Sind wir die moralische Instanz, die – bei unserem Umgang mit Lebensmitteln -, darüber entscheiden darf, wie Grundnahrungsmittel erzeugt werden? Dürfen Sie, darf ich neue Technologien ablehnen, ohne dass es naturwissenschaftliche Beweise für deren Schädlichkeit gibt? Wenn es einen ständig schneller werdenden Klimawandel gibt, woher sollen, bei gleichzeitig weiter steigender Weltbevölkerung, unsere Nahrungsmittel kommen? Nichts gegen Bio, aber wenn alle Landwirte so wirtschaften würden, würden dann nicht pro Flächeneinheit einfach zu wenig Kalorien erzeugt? Gerade rollt eine Welle durchs Land, dass wir alle weniger Fleisch essen sollen, weil dann weniger Futtermittel verbraucht würden und es für mehr Menschen reicht. Sollen alle weniger Fleisch essen? Oder nur wir Deutsche, wir Europäer? Oder auch die Menschen in Brasilien, in Indien, in China, die es gerade zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht haben und jetzt auch diesen Genuss für sich in Anspruch nehmen? Wer will derjenige sein, der die Botschaft „Esst weniger Fleisch“ in die aufstrebenden Staaten oder gar in die Entwicklungsländer trägt?
Es wird uns also nichts anderes übrig bleiben, als zu akzeptieren, dass Verfahren, die die den Output an Kalorien erhöhen und die Qualität der Lebensmittel verbessern, nicht nur bei uns, sondern auch in den Ländern mit Nahrungsmittel-Mangel Einzug halten. Ich weiß, dass dieser Satz Widerspruch auslösen wird. Und Sie dürfen ihn gerne kritisieren. Aber nennen Sie mir bitte auch die Alternative.
Wenn wir den Hunger nicht vor Ort besiegen, kommen die Menschen zu uns…
Ihr (nachdenklicher) Bauer Willi
Quelle: Bauer Willi
Bildquelle: ML-Archiv
Entdecke mehr von Moderner Landwirt
Subscribe to get the latest posts sent to your email.