Interview von Bundesminister Cem Özdemir mit der „Rheinischen Post“

Frage: Herr Minister, die Lebensmittel in Deutschland sind weiter teuer. Werden die Preise irgendwann noch einmal fallen?

Cem Özdemir: Die Ursache der aktuellen Preissteigerungen hat ja einen Namen: Wladimir Putin. Solange der russische Präsident seinen schrecklichen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, werden wir irgendwie mit den Folgen umgehen müssen.

Frage: Das heißt konkret?

Cem Özdemir: Uns ist als Bundesregierung sehr bewusst, wie schwierig das für viele ist, und wir haben deshalb einen milliardenschweren Schutzschirm gespannt und mehrere Entlastungspakete auf den Weg gebracht. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass wir die Folgen des russischen Krieges nicht ungeschehen machen können. Wir sollten auch nicht vergessen: Es sind die mutigen Ukrainerinnen und Ukrainer, die die Hauptlast des verbrecherischen Krieges Russlands tragen. In der Ukraine werden unsere europäischen Werte – Freiheit und Demokratie – verteidigt. Putin glaubt, dass er unsere Unterstützung mit seinem Energiekrieg und den bekannten Folgen durchbrechen kann, aber da hat er sich verrechnet.

Frage: Was raten Sie den Bürgern?

Cem Özdemir: Ich glaube, die Menschen brauchen keine gut gemeinten Spartipps eines Bundesministers. In der Bundesregierung haben wir viele Maßnahmen umgesetzt, die die Bürgerinnen und Bürger in dieser schwierigen Zeit entlasten. Und auf einige davon können wir als Land auch stolz sein – nehmen Sie zum Beispiel die rekordverdächtig schnelle Einrichtung eines LNG-Terminals, die Gas- und Strompreisbremse oder die schnelle und vor allem unbürokratische Krisenhilfe für die Landwirtinnen und Landwirte von 180 Millionen Euro. Auch das hilft am Ende den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Hinzu kommen die diversen Entlastungspakete, die den Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar helfen.

Frage: Wie schwierig ist es, in so einer Lage den Klima- und Artenschutz voranzutreiben?

Cem Özdemir: Es gab sicherlich schon mal bessere Voraussetzungen. Aber noch mal ganz deutlich: Die Preissteigerungen liegen an Putins Krieg und haben nichts mit Klima- und Artenschutz zu tun. Die Versäumnisse der Vergangenheit rächen sich jetzt, Stichwort Abhängigkeit von russischem Gas und fossilen Energien, so herum wird ein Schuh draus. Unser Vize-Kanzler Robert Habeck hat wie kein anderer Wirtschaftsminister vor ihm den Turbo beim Ausbau der Erneuerbaren angeworfen. Beim Klima- und Artenschutz ist es ähnlich, wir müssen unsere natürlichen Grundlagen jetzt schützen. Naturgesetze lassen nicht mit sich verhandeln.

Frage: Die EU will die Halbierung des Pestizideinsatzes bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent. Wie werden Sie da vorgehen?

Cem Özdemir: Die Verwendung und das Risiko von Pflanzenschutzmitteln muss deutlich gesenkt werden, um Umwelt und Artenvielfalt zu schützen – und damit auch unsere Lebensgrundlagen für die Zukunft zu sichern. Die Beschlüsse der kürzlich zu Ende gegangenen Artenschutzkonferenz der Vereinten Nationen in Montreal haben die Dringlichkeit nochmals bekräftigt. Das angesprochene EU-Reduktionsziel ist auch national – gestützt auf den Koalitionsvertrag – unsere Messlatte. Dafür sind vielfältige Anstrengungen aller Akteure erforderlich.

Frage: Das ändert nichts an der EU-Vorgabe.

Cem Özdemir: Wichtig ist mir, dass wir nicht einfach Ziele vorgeben, sondern auch den Weg dahin aufzeigen. Mein Ministerium wird 2023 ein Reduktionsprogramm auflegen, um Landwirtinnen und Landwirte dabei zu unterstützen, weniger Pflanzenschutzmittel zu verwenden.

Frage: Auf der anderen Seite planen Sie ein Exportverbot für bestimmte Pflanzenschutzmittel. Warum?

Cem Özdemir: Was bei uns aus Gründen des Gesundheitsschutzes zurecht nicht zugelassen ist, sollten wir auch nicht in andere Teile dieser Welt verschiffen, wo es im Zweifelsfall keine oder nicht ausreichende Sicherheitsstandards gibt. Mit dieser Doppelmoral muss Schluss sein. Die Menschen haben überall das gleiche Recht auf Gesundheit, das muss auch für die Bäuerinnen und Bauern in anderen Teilen der Welt gelten. 274 Organisationen aus 54 Ländern des globalen Südens unterstützen unsere Entscheidung, den Export von Pestiziden zu verbieten, die in der Europäischen Union verboten sind. Im Übrigen schaffen wir damit nebenbei etwas mehr Fairness im Wettbewerb. Das hilft auch unserer Landwirtschaft.

Frage: Wie wird es jetzt weitergehen bei der Tierhaltungskennzeichnung?

Cem Özdemir: Den Gesetzentwurf für eine staatliche, verbindliche Kennzeichnung habe ich durchs Bundeskabinett und den Bundesrat gebracht, nun berät das Parlament darüber. Ich will, dass Verbraucherinnen und Verbraucher eine echte Wahl bekommen, Fleischprodukte aus einer tiergerechteren Haltung zu kaufen. Diesen Wunsch der übergroßen Mehrheit können wir nur erfüllen, wenn alle Produkte gekennzeichnet sind und so die Leistungen der Landwirtinnen und Landwirte für mehr Tierschutz sichtbar werden. Wir beginnen mit frischem, unverarbeiteten Schweinefleisch, weil ich es erst in Brüssel einmal notifizieren, sprich genehmigen lassen muss – und weiten das dann Schritt für Schritt auf weitere Tierarten, verarbeitete Produkte und andere Vertriebswege aus.

Frage: Das kostet aber Geld.

Cem Özdemir: Die Tierhaltung in Deutschland steckt seit Jahren in der Krise. Dass nun ausgerechnet ein Vegetarier kommen muss, um die Tierhaltung in Deutschland zukunftsfest umzubauen, ist schon auch ein besonderer Winkelzug des Schicksals. Unser Motto lautet: weniger Tiere besser halten – und den Betrieben damit ein gutes Einkommen sichern. Neben der Tierhaltungskennzeichnung werden wir die Betriebe finanziell unterstützen, die in den Bau oder Umbau von tiergerechteren Ställen investieren. Darüber hinaus, und das ist ein großer Ampel-Erfolg für unsere Landwirtschaft, werden wir sie auch bei den laufenden Mehrkosten für mehr Tierschutz unterstützen.

Frage: Inwiefern?

Cem Özdemir: Dafür legen wir ein Bundesprogramm auf, das in der zweiten Hälfte 2023 für schweinehaltende Betriebe starten soll. Gleichzeitig lösen wir übrigens auch die anderen Bremsen, vor allem das Bau- und Planungsrecht. Hier habe ich große Unterstützung durch meine Kollegin, Bauministerin Klara Geywitz.

Frage: Viele Menschen sind zu dick. Welche Rolle spielt das in der Ernährungsstrategie ihres Hauses?

Cem Özdemir: Gut zwei Drittel der Männer, ungefähr die Hälfte der Frauen und fast jedes sechste Kind in Deutschland sind übergewichtig. Das bedeutet nicht nur teils krasse, individuelle gesundheitliche Probleme, sondern auch enorme Folgekosten für die Gesellschaft. Wir sollten deshalb alles daransetzen, dass es für alle Menschen in Deutschland möglich ist, sich gut und gesund zu ernähren – unabhängig von Einkommen, Bildung oder Herkunft. Das hat auch mit Wertschätzung zu tun, wenn hart arbeitende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich darauf verlassen können, in der Kantine gutes Essen zu bekommen. Und wir tun uns als Gesellschaft einen großen Gefallen, wenn wir unseren Kindern, dem Wertvollsten, was wir haben, schon in Kita und Schule zeigen, wie ein gesundheitsförderndes und abwechslungsreiches Essen aussieht. Ernährung entscheidet mit über faire Lebenschancen – oder anders gesagt: was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Die Gemeinschaftsverpflegung ist also ein enorm wichtiger Hebel. Jede und jeder sollte die Chance haben gesund alt zu werden.

Frage: Sollte das Containern straffrei sein?

Cem Özdemir: In Deutschland landen viel zu viele Lebensmittel im Müll, insgesamt rund elf Millionen Tonnen und mehr als die Hälfte leider in privaten Haushalten. Es gibt deshalb nicht die eine Lösung, um das Problem der Lebensmittelverschwendung mit einem Schlag zu lösen. Wir müssen deshalb pragmatisch schauen, wo wir ansetzen können. Was das sogenannte Containern betrifft: Wer noch verzehrfähige Lebensmittel aus Abfallbehältern retten will, sollte dafür nicht belangt werden. Ich glaube, wir alle wünschen uns, dass sich unsere Polizei und Gerichte stattdessen um Verbrecherinnen und Verbrecher kümmern.

Fragen von Hagen Strauß

Quelle: Rheinische Post vom 02. Januar 2023

Bildquelle: ML-Archiv


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