Wer verschmutzt wirklich unsere Gewässer? Neue Erkenntnisse entlasten die Landwirtschaft und rücken Kläranlagen und Kanalnetze in den Mittelpunkt.

Lange galt die Landwirtschaft als Hauptverursacher schlechter Gewässerqualität. Neue Untersuchungen eines Umweltgeologen der Ruhr-Universität Bochum stellen dieses Bild nun deutlich infrage.

Im Interview mit den FREIE BAUERN macht der Umweltgeologe Prof. Dr. Tobias Licha deutlich, dass der Einfluss der Landwirtschaft auf die Gewässerqualität heutzutage vergleichsweise gering sei. Grund dafür seien die in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich verschärften gesetzlichen Vorgaben für Düngung, Pflanzenschutz und Nährstoffmanagement.

Trotzdem werde die Landwirtschaft in der öffentlichen Debatte nach wie vor häufig pauschal als Hauptverursacher der Gewässerverschmutzung dargestellt. Der Bundessprecher der FREIEN BAUERN, Alfons Josef Wolff, spricht in diesem Zusammenhang von einer regelrechten „Verleumdungskampagne“.


Probleme entstehen häufig im Abwassersystem

Die Untersuchungen von Prof. Licha zeigen vielmehr, dass erhebliche Belastungen der Gewässer häufig aus undichten Kanälenungeklärtem Abwasser sowie aus Regenrückhaltebecken stammen. Besonders in den Wintermonaten verschärfen sich diese Probleme zusätzlich.

Bei niedrigen Temperaturen sinkt die Leistungsfähigkeit vieler Kläranlagen deutlich. Die Mikroorganismen im sogenannten Belebtschlamm, die für den Abbau von Schadstoffen verantwortlich sind, arbeiten bei Kälte erheblich langsamer. Dies führt zu:

  • erhöhten CSB- und BSB-Werten,
  • einem verlangsamten Abbau von Nitrit und Nitrat,
  • sowie zu einer insgesamt reduzierten Reinigungsleistung.

Zusätzlich belasten Tauwetter und starke Regenfälle auf gefrorenem Boden die Abwassersysteme. In solchen Situationen kann es zu einer starken Verdünnung oder sogar zur Abschwemmung des Belebtschlamms kommen – mit direkten Folgen für Flüsse, Bäche und Seen.


Großer Sanierungsbedarf bis 2045

Fest steht: Die Abwasserbranche steht vor einem tiefgreifenden Umbruch. Bis zum Jahr 2045 soll etwa jede zehnte Kläranlage in Deutschland modernisiert oder nachgerüstet werden. Auch das vielerorts über 100 Jahre alte Kanalnetz gilt als sanierungsbedürftig.

Experten sehen deshalb einen erheblichen Investitionsstau bei der kommunalen Abwasserinfrastruktur. Ohne umfassende Modernisierungen werde es kaum möglich sein, die steigenden Umweltanforderungen langfristig zu erfüllen.


Forderung nach Umdenken

Aus Sicht der FREIEN BAUERN ist daher ein grundsätzliches Umdenken notwendig. Den Landwirten dürfe nicht länger die Verantwortung für Probleme zugeschrieben werden, die veraltete Abwassersysteme technisch kaum noch bewältigen können.

Die Debatte um Gewässerschutz müsse differenzierter geführt werden – mit Blick auf tatsächliche Ursachen und auf die Verantwortung aller beteiligten Bereiche: Landwirtschaft, Kommunen, Industrie und Infrastruktur.

Quelle: Freie Bauern


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