Seit Bekanntgabe des Entwurfes der EU-Verordnung zur Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes (PSM) am 22.06.2022 schlagen in der Landwirtschaft hohe Wellen.

Neben dem kompletten PSM-Verbot in Schutzgebieten sind eine ganze Reihe weiterer büro- bzw. eurokratischer Monster für die gesamte europäische Landwirtschaft enthalten: *

– verpflichtendes elektronisches Register (Artikel 16) für alle PSM-Anwendungen, alle Vorbeugemaßnahmen (Fruchtfolge, Saattermin, Zwischenfrüchte, Bodenbearbeitung usw.) und die erfolgte Beratung (Name des Beraters sowie Daten und Inhalt der Beratung).

– jährlich mindestens eine umfangreiche strategische Beratung von einem Berater einholen (Artikel 26).

– Der Berater muss die Vorgaben von Artikel 23 erfüllen.

– alle Mitgliedsstaaten müssen neue rechtsverbindliche kulturspezifische Vorschriften zum integrierten Pflanzenschutz (Artikel 15) erlassen. Inklusive kulturspezifischer Schadschwellen und Aufzeichnungspflichten der Schadschwellenüberwachung. 

– Verpflichtungen zur Reduktion des chemischen Pflanzenschutzes um 50%, und zusätzlich 50%ige Reduktion von gefährlichen Pflanzenschutzmitteln bis 2030.

Die im PSMRegister erfassten Daten müssen mit den Umwelt- und Naturschutzbehörden ausgetauscht werden. Die Kosten für Digitalisierung der Datenund den damit beschäftigten Behördenmitarbeiter übernimmt der Steuerzahler!?

Was steckt hinter dem Begriff „gefährliche PflanzenschutzmittelGefährliche Pflanzenschutzmittel sind zukünftig die bisherigen Substitutionskandidaten. Bekannte konventionelle PSM-Wirkstoffe wie Pendimethalin zählen z.B. dazu. Auch im biologischen Landbau zugelassene und in größeren Mengen verwendete PSM-Wirkstoffe wie Kupfer, sindsolche Substitutionskandidaten, und per Definition dieses EU-VO-Entwurfes somit gefährliche Pflanzenschutzmittel, dessen Anwendung bis 2030 um 50% reduziert werden muss!

Ist in allen Roten und Gelben Gebiete gemäß §13 Düngeverordnung zukünftig der komplette Pflanzenschutz verboten? Oder gar in ganz Deutschland?

Gemäß Wortwahl in Artikel 18 des VO-Entwurfs soll sämtlicher Pflanzenschutz (auch der im ökologischen Anbau zugelassene Pflanzenschutz inkl. Nützlings-Einsatz) in allenempfindlichen Gebieten verboten werden. Denn der Verordnungsgeber schreibt in seinem Entwurf hier eindeutig Pflanzenschutzmittel und beschränkt sich somit bewusst nicht nur auf die chemischen oder gefährlichen Pflanzenschutzmittel wie in anderen Teilen des VO-Entwurfes.

Die bisherige Diskussion über den Flächenumfang der sogenannten empfindlichen Gebietebeschränkte sich bisher auf die nationalen Schutzgebiete, welche an die EU gemeldet sind. Bilder zu Kartendarstellung der von Deutschland gemeldeten sogenannten CDDA-Gebiete (auch im EU-Vergleich) machen seit Wochen z.B. in WhatsApp-Gruppen die Runde. Um die 25% der deutschen landwirtschaftlichen Agrarfläche sind dort als CDDA-Gebieteverzeichnet, zitiert z.B. Top Agrar in Ausgabe 09/22. 

Die Begriffsbestimmung in Artikel 3 Ziffer 16 des VO-Entwurfes schreibt jedoch sehr viel mehr Gebiete vor, als bisher öffentlich diskutiert. Unter anderem alle Schutzgebiete gemäß Wasserrahmenrichtline 2000/60/EG, dazu zählen z.B. die Roten und Gelben Gebiete nach §13 Düngeverordnung (DüV). Nach aktueller Wortwahl der EU sollen auch diese Gebiete unterdas komplette PSM-Anwendungsverbot fallen.

Auch für nicht weiter definierte Gebiete, in denen die Beherbergung von auf der Roten Liste stehenden Bestäuberarten festgestellt wurden, soll zukünftig der komplette Pflanzenschutz inkl. Nützlings-Einsatz verboten sein.

Zukünftig sind Ausnahmen vom PSM-Verbot in den empfindlichen Gebieten nur bei Ausbreitung von Quarantäneschädlingen oder invasiven gebietsfremden Arten im mittels komplizierter einzelbetrieblicher Anträge möglich! Sollte der Antrag genehmigt werden müssen Ort der PSM-Anwendung, Name des Pflanzenschutzmittels und vieles mehr öffentlich bekannt gemacht werden!

Wie die Bauernzeitung am 18.08.2022 bereits berichtete wäre nach einer Recherche desThüringer Landwirtschaftsministerium (TMIL) Deutschland sogar flächendeckend vom Pflanzenschutzverbot betroffen.** Das TMIL verweist dazu laut Bauernzeitung auf das„Kleingedruckte“, also den Querverweisen auf andere EU-Verordnungen oder -Richtlinien. Demnach sind gefährdete Gebiete, unter anderem die nach den Vorgaben der Kommunalabwasserrichtlinie ausgewiesen worden sind. Die Bundesrepublik weist sie nicht einzeln aus, sondern wendet diese Richtlinie flächendeckend an. Dies sollte aber in Brüssel und Straßburg bekannt sein? Experten fragen sich deshalb warum wällte die EU solche Formulierungen?

Entspricht der VO-Entwurf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit!?

Der VO-Entwurf enthält auch eine 20-seitige Begründung. Darin behauptet die EU in Ziffer 2: Der Vorschlag entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da er nicht über das Maß hinausgeht, das erforderlich ist, um ein angemessenes Ambitionsniveau zu erreichen und die Wirksamkeit und Effizienz der Politik zu verbessern.  

Im Unterpunkt 3 der Begründung schreibt die EU jedoch selbst zur Folgenabschätzung: 

Im Rahmen der bevorzugten Option steigen die Herstellungskosten je Produktionseinheit aufgrund 

i) strengerer und ausführlicherer Aufzeichnungspflichten, 

ii) des erwarteten Rückgangs der Erträge infolge einer geringeren Verwendung von Pestiziden, 

iii) zusätzlicher Kosten für jene beruflichen Verwender, die bislang keine Beratungsdienste beanspruchen.

Dieser Vorschlag sieht vor, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der GAP Unterstützung leisten können, um für einen Zeitraum von fünf Jahren die Kosten zu decken, die den Landwirten durch die Erfüllung aller rechtlichen Anforderungen dieses Vorschlags entstehen. Dadurch soll verhindert werden, dass die Lebensmittelpreise aufgrund neuer aus diesem Vorschlag hervorgehender Verpflichtungen steigen.“

Zur angeblichen Verhältnismäßigkeit widerspricht sogar das deutscheUmweltbundesamt (UBA) in seiner Pressemitteilung vom 23.06.2022 der EU mit dem PM-Titel: „Neue EU-Verordnung: Weniger Pestizide geht nur mit Anreizen für die Landwirtschaft; UBA sieht dringenden Nachbesserungsbedarf […]“ ***

Das UBA fordert darin die Finanzierung der Maßnahmenkosten bereits bei Verordnungserlass zu sichern. Ob die von UBA vorgeschlagene Verpflichtung, ein konkretes Budget in allen EU- Staatshaushalten per EU-Verordnung zu reservieren, bei den aktuell sehr kritischen Haushaltslagen eine Mehrheit bei den EU-Mitgliedsstaaten findet bleibt nach Meinung des Autors abzuwarten. Die zudem vom UBA hierfür vorgeschlagene Pestizidabgabe, um Mehrausgaben und Ertragsminderungen den Landwirten auszugleichen, die bei der Reduzierung des Pestizideinsatzes entstehen, sieht der Autor ebenfalls sehr kritisch. Gleiches gilt für die von der EU im VO-Entwurf vorgesehene Änderung der Förderregeln für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Mit dem Ziel die Mehrkosten der PSM-Verbote, in der ab Januar 2023 beginnenden Agrar-Förderperiode, aus dem aktuellen Fördertopf auf Kosten anderer Förderziele auszugleichen. Noch kritischer ist hier zu sehen, dass in der Begründung des VO-Entwurfs die noch neu zu schaffenden GAP-Mittel zum Ausgleich der Umsetzungskosten nur für einem Zeitraum von 5 Jahren vorsieht.

Das deutsche Recht sieht hingegen bei Eingriffen ins Eigentum ausreichendeÜbergangsfristen, Befreiungsmöglichkeiten für stark Betroffene, und Ausgleichsmaßnahmen für die entstehenden Mehraufwendungen bzw. Ertragsverluste vor. Das Bundesverfassungsgericht bestätige diese deutsche Rechtspraxis beispielsweise 2020 als es urteilte, dass der deutsche Atomausstieg ein unverhältnismäßiger Eigentumseingriff war und die AKW-Betreiber Ausgleichsansprüche haben! ****

Aktuelle Parallelen zur Verhältnismäßigkeitsfrage der Roten und Gelben Gebiete gemäß DüV

Beim Thema Verhältnismäßigkeit ergeben sich beim aktuellen VO-Entwurf zur PSM-Reduzierung weitere Parallelen zu den Roten und Gelben Gebiete der Düngeverordnung.Bereits diese sind nach fester Überzeugung von Verfassungsrechtlern entschädigungsfrei nicht mit deutschen Recht vereinbar. Die Interessengemeinschaft Sandsteinkeuper Höchstadt-Bamberg n.e.V. (IG) unterstützt deshalb eine Klage, die unter anderem die Verfassungsmäßigkeit der DüV 2020 juristisch hinterfragt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof urteilte dazu in seiner Eilentscheidung vom 31.01.2022, es seien max. 10% Einbußen durch die Auflagen in den Roten und Gelben Gebieten zu befürchten und beruft sich dabei auf die Bundesrats-Drucksache 98/20. Diese 10% wären hinnehmbare Einschränkungen im Sinne des Gewässerschutzes, so das Gericht.***** Im weiter laufenden Hauptsacheverfahren ist nun zu prüfen, ob tatsächlich alle Landwirte und insbesondere der Kläger max. 10% Einbußen haben. Weiter wird der Frage nachzugehen sein, weshalb Ausnahme- und Befreiungsregelungen nicht erforderlich sein sollen, erklärt IG-Schriftführer Thomas Pfeiffer.

Quelle: Thomas Pfeiffer

Bildquelle: LSV NRW


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